Geschichte

Der Weg der leeren Hand

KARATE entstand auf Okinawa, der Hauptinsel einer langgestreckten Inselgruppe (Ryukyu) im Pazifischen Ozean.
Die Ryukyu-Inselgruppe liegt etwa 550 km südlich von Kyusha, der größten südlichen Insel Japans,  550 km nördlich von Taiwan und etwa 740 km östlich des chinesischen Festlandes.
Vermutlich waren die ersten Einwohner Okinawas Überlebende eines gestrandeten Schiffes. Hinzu kamen Einwanderer aus China, dem Süden Japans sowie aus Südostasien.
Schriftlichen Aufzeichnungen zufolge gelangten bereits zur Zeit der Sui-Dynastie (560-618) Chinesen erstmals nach Okinawa.
Im 7. Jahrhundert entstand außerdem ein reger Handelsverkehr zwischen Japan und Okinawa.
Heutzutage geht man davon aus, dass chinesische Kampftechniken des Shaolin-Tempelboxens (Kung-Fu) sowie verschiedene Kampfkünste aus Japan ebenfalls in diesem Zeitraum nach Okinawa gelangten und von der dortigen Kultur aufgenommen wurden.
Es existieren jedoch keine schriftlichen Aufzeichnungen und auch keine mündlichen Überlieferungen. Bekannt ist lediglich, dass bereits 1368 in Okinawa karateähnliche Selbstverteidigungstechniken geübt wurden, die man Tode nannte (Tode, Technik der Tang; Tang steht symbolisch für China).
Im Jahre 1372 erklärte sich König Sato von Okinawa freiwillig China tributpflichtig. Durch die Gründung offizieller chinesisch-okinawischer Handels- beziehungen verstärkte sich der Einfluss Chinas auf die Inselbevölkerung enorm und das chinesische Shaolin-Kung-Fu beeinflusste zunehmend die Entwicklung des Tode.

Im Jahre 1429 wurde Okinawa nach internen Streitigkeiten zum Königreich unter Führung eines einzigen Königs Sho Hashi vereint. Damit war der Grundstein für das goldene Zeitalter Okinawas gelegt. Der neue König baute ein weitgehendes Handelsnetz zu den umliegenden Ländern (Malaysia, Thailand, Indonesien) aus. Durch diese engen Kontakte kamen die Bewohner Okinawas mit vielen Kampftechniken Südasiens in Berührung, die ebenfalls die Entwicklung des in Okinawa praktizierten Tode beeinflusst haben dürften.
Um 1470 führte der Zusammenbruch der Sho-Dynastie zu einer Periode politischer Unruhen, die erst durch die Errichtung einer neuen Sho-Dynastie im Jahre 1479 beendet wurde. Der neue König namens Sho Shin musste gegen rebellische Adelige vorgehen, die sich im ganzen Land in ihren Burgen verschanzt hatten.Goldener Tempel3
Eine seiner ersten Amtshandlungen bestand darin, dass er das Tragen von Schwertern für alle, sowohl für Adelige als auch für Bauern, verbot, einen Umstand, den noch heute viele Historiker als Ursprung der Entstehung von Karate ansehen.
Der König ließ alle Waffen einsammeln und in sein Schloss nach Shuri bringen. Schließlich gab er Befehl, dass alle Mitglieder des okinawischen Adels sich in seiner Nähe in der damaligen Hauptstadt Shuri niederzulassen hatten.

Als Konsequenz entstanden auf Okinawa zwei Schulen der Selbstverteidigung. Die erste, die waffenlose Kunst des Tode, wurde hauptsächlich vom Adel entwickelt und ausgeübt. Wichtigstes Merkmal war der Einsatz der Hand, insbesondere der geballten Faust. Die Fischer und Bauern hingegen entwickelten Waffensysteme, bei denen Werkzeuge und landwirtschaftliche Geräte (Dreschflegel, Sicheln, Paddel) zu tödlichen Waffen umfunktioniert wurden (Kobudo). Beide Kampftechniken wurden unter strengster Geheimhaltung praktiziert.
Das goldene Zeitalter Okinawas währte bis 1609. In diesem Jahr beendete die Invasion des japanischen Satsuma-Clans die Unabhängigkeit Okinawas. Der König Okinawas wurde festgenommen, nach Edo (heute Tokio) gebracht und das Volk unterworfen. Außerdem erhielten die Japaner das Waffenverbot aufrecht.
Zu jener Zeit fanden die Kampfkünste Okinawas als reine Form der Selbstverteidigung enormen Aufschwung. Verschiedene Tode-Gemeinschaften schlossen sich mit Gruppen, die den Shaolin-Kung-Fu-Stil ausübten zusammen. Es entwickelte sich als Kombination ein völlig neuer kämpferischer Kampfstil, das Okinawa-Te, das unter strengster Geheimhaltung ausgeübt und gelehrt wurde.
In etwa zur gleichen Zeit bildeten sich im Umkreis der Hauptstadt drei führende Stilrichtungen aus: Shuri-Te, die Kunst, die in Shuri entwickelt wurde, Naha-Te und Tomari-Te. Der Grund für die Unterschiede dürfte in der Beeinflussung durch unterschiedliche chinesische Traditionen liegen. Shuri-Te geht vermutlich auf das Shaolin-Tempelboxen zurück, während im Naha-Te viele Elemente aus den weichen, taoistischen Techniken enthalten sind, was z.B. die Atmung und die Kontrolle des Ki (chinesisch Chi), der Lebenskraft betrifft. Im Tomari-Te sind Einflüsse beider Traditionen zu erkennen.Geisha (1)

Anfang des 19. Jahrhunderts hatten sich die Bezeichnungen für die Stilrichtungen erneut geändert. Die Künste von Shuri und Tomari wurden unter dem Namen Shorin-Ryu zusammengefasst, was „die flexible Kiefernschule“ bedeutet. Naha-Te wurde als Shorei-Ryu bezeichnet, ,,die harte und weiche Schule“. Diese beiden Schulen gelten noch heute als das Hauptsystem des okinawischen Karate, innerhalb dessen spätere Meister weitere Stilrichtungen gründeten.

Und wie hat sich KARATE weltweit verbreitet?

1871 wurde Okinawa an Japan angegliedert. Im Jahre 1905 wurde Karate offiziell Unterrichtsfach an den Schulen Okinawas.

Im Jahre 1921 stattete der Sohn des japanischen Kaisers, Prinz Hirdito, Okinawa einen Besuch ab, wobei er einer Karatevorführung von Funakoshi Gichin, Meister des Shuri-Te-Karate, beiwohnte.
Im Jahre darauf wurde Funakoshi nach Tokio eingeladen, um seine Kunst im japanischen Volk einzuführen. Von seinen Schülern wurde sein Kampfsystem später nach dem Namen seines Dojo als Shotokan bezeichnet, dem heute weltweit verbreitetsten Wettkampfstil des Karate.
Danach kamen weitere Meister aus Okinawa nach Japan und gründeten ihre eigenen Stile. Der von Chojun Miyagi gegründete Goju-Ryu-Stil kam in den dreißiger Jahren nach Japan.
Im Jahre 1935 setzte sich eine Kommission okinawanischer Meister aus allen Stilrichtungen zusammen, um einen gemeinsamen Namen für ihre Kunst zu finden. Die entschieden sich für Karate, was ,,waffenlose Verteidigungskunst“ oder ,,Kunst der leeren Hand“ bedeutet. Einige Meister ziehen es vor auch die japanische Endung -do, der Weg, an den Namen anzuhängen.
Nach dem zweiten Weltkrieg waren es aufeinanderfolgende Generationen amerikanischer Soldaten in Japan, die wesentlich zur Verbreitung der japanischen Kampfkunst in andere Teile der Welt beitrugen. In den fünfziger Jahren wurde Karate, neben Judo und Aikido offiziell in das Ausbildungsprogramm der amerikanischen Streitkräfte aufgenommen. In den sechziger Jahren waren es vor allem in japanischen Kampftechniken ausgebildete junge Männer, die die streng geheimen Kampfkünste, die in den asiatischen Gemeinden Kaliforniens und New Yorks verbreitet waren, erforscht haben. Karate fand rasch Eingang in Film und Fernsehen und dadurch weltweite Verbreitung. Viele japanische Trainer und Meister sind in der ganzen Welt verteilt, wo sie ihre jeweiligen Disziplinen lehren und weitergeben. Auf diese Weise findet auch heute Karate weltweit großen Anklang bei Menschen jeden Alters.

Literaturhinweis: Werner Lind, Die Tradition des Karate, Kristkeitz Verlag 1991

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